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Ulrich Fischer-Weissberger

Lehrer am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Waldkirch

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Rechtsextreme auf der Veranstaltung vom 27.1.2004

Badische Zeitung vom Donnerstag, 29. Januar 2004

Nur peinlich oder Straftat?

Vorfall beim Gedenkabend WALDKIRCH (BZ).

"Nur" geschmacklos oder auch eine Straftat? Dies überprüft derzeit die Staatsanwaltschaft Freiburg gegenüber vier Jugendlichen wegen eines Vorfalls bei einer Gedenkveranstaltung für Opfer des Nationalsozialismus.Am vergangenen Dienstag, 27. Januar - dem Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus - fand im Stadthallen-Foyer um 19 Uhr eine vom Geschwister-Scholl-Gymnasium organisierte Veranstaltung (im Rahmen eines Geschichtsprojekts) zum Thema "Völkermord in Litauen - Waldkircher Schüler berichten von den Verbrechen der Nazis" statt.Etwa 150 Personen nahmen daran teil. Nach etwa 30 Minuten, so teilt die Kriminalpolizei Emmendingen mit, "betraten vier Jugendliche, welche aufgrund ihres Aussehens möglicherweise der rechtsradikalen Szene zuzuordnen sind, die Räumlichkeit." Sie zeigten, so die Kripo weiter, ein Transparent mit der Aufschrift: "Opa war in Ordnung. Schluss mit der Hetze!" Die Jugendlichen wurden hierauf vom Schulleiter aufgefordert, den Saal unverzüglich wieder zu verlassen, was sie auch befolgten und sprachen beim Hinuntergehen der Treppe den Satz "Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht!". Die Personalien eines der vier Jugendlichen stehen fest, die Ermittlungen bezüglich der weiteren Begleiter dauern derzeit noch an, so die Kriminalpolizei. Seitens der Staatsanwaltschaft Freiburg werde geprüft, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt.

Ein Leserbrief aus der Badischen Zeitung

Zum Beitrag "Nur peinlich oder Straftat?", BZ vom 29. Januar Nicht nur ein Ausrutscher "Nur peinlich oder Straftat?" - Unter dieser Überschrift berichtet die Badische Zeitung über den Auftritt von vier jugendlichen Waldkirchern, vermutlich Rechtsradikalen, die eine Gedenkveranstaltung im Foyer der Stadthalle störten. Dort wurde an die Judenmorde in Litauen sowie an die Rolle des aus Waldkirch stammenden SS-Offiziers Karl Jäger erinnert. Es muss bezweifelt werden, ob in der besagten Überschrift die richtige Frage gestellt wird. Sollte man sich nicht - jenseits einer juristischen Bewertung des Vorfalls - dem vielleicht etwas schwierigeren Problem widmen, wie das rechtsradikale Denken in die Köpfe dieser Jugendlichen gekommen ist? Sie zeigten auf ihrem Transparent den Spruch "Opa war in Ordnung, Schluss mit der Hetze!" Bezogen auf das Thema dieses Abends konnte mit "Opa" eigentlich nur Karl Jäger gemeint sein. Welchen Opa sonst hätten die Jugendlichen in Schutz nehmen wollen? Ein Ausrutscher? Wohl kaum. Wie oft habe ich ältere Waldkircherinnen und Waldkircher reden hören (unter anderem dokumentiert in der von der Stadt Waldkirch herausgegeben Broschüre "Waldkirch 1939 davor und danach" aus dem Jahre 1989), der Jäger sei ein feinsinniger, musikalischer, organisatorisch begabter Mann gewesen, ein "Pfundskerl", zudem ein Schwarm der Frauen. Der Tatbestand, dass eben dieser Jäger auch der "Henker des litauischen Judentums" war, dass unter seiner Verantwortung mindestens 134 000 litauische Juden ermordet worden sind, kommt in diesen Bewertungen nicht vor. Eben diese scheinen mir aber die Quelle zu sein für den skandalösen Spruch, Opa sei "in Ordnung" gewesen. So macht der rechtsradikale Vorfall in der Stadthalle einmal mehr deutlich, wohin die verweigerte Erinnerung an die Untaten des Jäger in der NS-Zeit selbst noch bei Angehörigen der "dritten Generation" führen kann. "Schluss mit der Hetze!" hieß es weiter auf dem Spruchband. Dieser Satz ist mir nicht neu. Ich musste ihn mir schon mehrfach am Telefon anhören, wo mich erwachsene Anrufer beschimpften, anonym, besonders heldenhaft also. Einer drohte mir: "Wenn Sie nicht mit der Hetze über den Jäger aufhören, schneiden wir ihnen die Eier ab!" Ein Lichtblick dagegen die Veranstaltung selbst: Schülerinnen und Schüler des Waldkircher Geschwister Scholl-Gymnasiums präsentierten unter der kundigen Leitung ihres Geschichtslehrers Ulrich Fischer-Weissberger eine vorbildliche Aufklärungsarbeit, die hohe Anerkennung verdient. Der frühere Bundespräsident Roman Herzog (CDU), der den Auschwitz-Gedenktag im Jahre 1996 ins Leben rief, damit der Holocaust nicht aus unserer Erinnerung verschwindet und wir die geschichtlichen Lehren uns immer wieder vor Augen führen, hätte an ihr seine wahre Freude gehabt. Nicht nur die Schüler unseres Gymnasiums fragten sich allerdings, was es wohl zu bedeuten habe, dass die aktiven Waldkircher Kommunalpolitiker durch vollständige - demonstrative? - Abwesenheit glänzten.

Prof. Dr. Wolfram Wette, Historiker, Waldkirch